Hopp oder top: Mischt Amazon Logistics die Versandbranche auf?
Noch vor wenigen Jahren erhielten Kunden des E-Commerce-Riesen Amazon ihre Bestellungen auf dem üblichen Weg: per DHL, Hermes oder einem anderen etablierten Versanddienstleister. Auch heute noch arbeitet die Handelsplattform mit externen Unternehmen zusammen, um Bestellungen in aller Welt ausliefern zu können. Mit Amazon Logistics –unter anderem in Deutschland – hat der Onlineriese jedoch auch eigene Strukturen aufgebaut, um Pakete schnell und effizient zum Kunden zu bringen.
Zuerst wurden die Pläne nicht ernst genommen. Doch mittlerweile beeinflusst Amazon Logistics auch die Paketbranche: Die DHL kündigte im März 2020 an, ein Paketzentrum in der Nähe von Augsburg schließen zu wollen, weil das benachbarte Logistikzentrum von Amazon nicht mehr für genügend Sendungen sorgte. Das lag keinesfalls an einem sinkenden Bestellaufkommen – vielmehr bedient Amazon zunehmend mit der eigenen Logistik das Versandvolumen und gibt dadurch weniger Sendungen an die DHL und andere Paketdienste ab.
Diese Entwicklung stoppte in letzter Zeit ein wenig. Ausgerechnet das Coronavirus, das in so vielen Branchen katastrophale Auswirkungen hat, rettete das DHL-Paketzentrum: Durch ein gestiegenes Bestellaufkommen bei Amazon kamen auch wieder mehr Aufträge bei den Nachbarn von DHL an.
Das dürfte allerdings lediglich eine Momentaufnahme sein. Auf lange Sicht wird Amazon Logistics die eigene Kapazität sogar ausbauen. Das hat sowohl auf die Versandbranche als auch auf Marketplace-Verkäufer Auswirkungen – positive wie negative. Umso mehr sollten Sie sich jetzt mit dem Thema beschäftigen, um abschätzen zu können, wie der Aufbau einer Amazon-eigenen Versandlogistik auch Sie betreffen kann.
Was genau ist Amazon Logistics?
Mit dem internen Lieferdienst möchte sich Amazon unabhängiger von etablierten Dienstleistern wie DHL oder DPD machen. Dazu arbeitet der E-Commerce-Gigant mit lokalen Subunternehmen zusammen, die für ein bestimmtes Gebiet Pakete an den Amazon-Verteilzentren abholen und die eigentliche Zustellung an den Kunden übernehmen. Meist handelt es sich dabei um kleinere Firmen mit 20 bis 40 Lieferwagen bzw. 30 bis 70 Fahrern. Momentan ist der Dienst in Deutschland, Großbritannien, Spanien und den USA verfügbar, meist in Großstädten.
Die Fahrer holen die Pakete an einem Versandzentrum ab und bringen sie direkt zum Kunden. In der Regel fahren sie dazu Strecken von bis zu 120 Kilometern. Der Vorteil besteht vor allem im Wegfall externer Strukturen wie beispielsweise der Einlieferung in einem DHL-Paketzentrum, der anschließenden Sortierung und dem Transport zum Zielort. Amazon Logistics schafft es durch die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen, für viele Sendungen den Versand auf die sogenannte letzte Meile zu verkürzen – und spart damit nicht nur Geld, sondern insbesondere Zustellzeit ein.
Denn viele Nutzer wollen möglichst die Same Day-Lieferung nutzen oder ihre Bestellung spätestens am folgenden Tag erhalten. Bei Prime-Produkten verspricht Amazon dies sogar. Dieser Aspekt ist Kunden besonders wichtig, steigert damit ihre Zufriedenheit und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch beim nächsten Mal bei Amazon bestellen. Der Logistics-Dienst verbessert damit effektiv die Customer Journey und die Kundenbindung.
Wie können Unternehmen an Amazon Logistics teilnehmen?
Interessierte Unternehmer können über die Website des Transportdienstes eine erste Interessenbekundung einreichen, die anschließend von Amazon geprüft wird. Das ist sogar dann möglich, wenn das für die Zusammenarbeit nötige Unternehmen erst noch gegründet werden müsste. Laut eigener Aussage sucht Amazon kundenorientierte Führungspersönlichkeiten, die „gerne Teams in einem dynamischen, sich ständig weiterentwickelnden Umfeld“ führen wollen.
Nach einer formellen Bewerbung, in der unter anderem liquide Mittel in Höhe von 25.000 Euro nachgewiesen werden müssen, und einer Zusage seitens Amazon durchlaufen die zukünftigen Lieferpartner eine mehrwöchige Schulung, außerdem stellt der Onlineriese viele Tools zur Verfügung, etwa zur Navigation. Sobald das Unternehmen steht und genügend Fahrer mit an Bord sind, werden die ersten Pakete an den lokalen Logistikzentren abgeholt und den Kunden zugestellt. In der Regel bezahlt Amazon pro erfolgreicher Zustellung.
Für die Anstellung von Fahrern und die Beschaffung von Lieferwagen ist jedoch das Subunternehmen verantwortlich. Amazon Logistics stellt in Deutschland lediglich unterstützende Angebote bereit, um niedrige Anlaufkosten zu gewährleisten. Dazu gehört auch ein Leasing-Programm für die Fahrzeugflotte, ein Kraftstoffprogramm, Uniformen oder Unterstützung in rechtlichen Fragen.
Welchen Service bietet der Amazon-Versanddienst Kunden?
Bei dem internen Versanddienst handelt es sich nicht um eine Spedition im klassischen Sinne, denn die Delivery Service Partner (Amazon Logistikpartner) arbeiten ausschließlich für den E-Commerce-Riesen und sind an die Strukturen der Onlineplattform gebunden.
In der Regel bietet der Transportdienst sogar einen besseren Service als andere Zusteller. Beispielsweise stellt Amazon Logistics eine detaillierte Sendungsverfolgung neben der obligatorischen Versandbestätigung für jede Bestellung zur Verfügung. So können Kunden nicht nur nachschauen, in welchem Zeitfenster ihre Bestellung geliefert werden soll, sondern oftmals auch den Weg des Zustellfahrzeugs nachverfolgen und einsehen, wie viele Stationen der Fahrer zuvor noch ansteuern wird. In diesem Sinne hat der Kunde bei Amazon Logistics ein Live-Tracking seiner Bestellung und kann genau sehen, wann und wo das Paket verschickt, ausgeliefert und letztendlich ankommt. Damit bietet das Versandunternhemen dem Nutzer einen erheblichen Vorteil, gegenüber der klassischen Paketverfolgung.
Der größte Vorteil für Kunden liegt aber klar in der schnellen und unkomplizierten Lieferung. Sie erhalten ihre Ware oftmals schon am nächsten Tag, wissen genau, in welchem Zeitfenster sie zuhause sein sollten. Andernfalls können sie auch einen Ablageort angeben oder die Ware direkt an eine Abholstation zustellen lassen. Wie andere Paketdienste beliefert Amazon Logistics auch am Samstag seine Kunden.
Was bedeutet Amazon Logistics für Marketplace-Verkäufer?
Händlern auf der Online-Handelsplattform bieten sich verschiedene Versandmöglichkeiten. Fulfillment by Merchant (FBM) bedeutet, dass sie Lagerung, Packen und Versand der Ware selbst übernehmen. Im Gegensatz dazu können sie diese und weitere Aufgaben auch an Amazon abtreten, indem sie am Fulfillment by Amazon-Programm (FBA) teilnehmen. Als dritte Option können Händler sich für Prime durch Verkäufer qualifizieren und so das verkaufsfördernde Prime-Logo erhalten, ohne FBA zu nutzen.
Für FBA-Händler stellt Amazon Logistics normalerweise ein Grund zur Freude dar. Denn von der erhöhten Kundenzufriedenheit und -bindung profitieren indirekt auch sie, schließlich steigt damit die Wahrscheinlichkeit, dass ein Produkt erneut bei ihnen gekauft wird.
Bei Händlern, die FBM oder Prime durch Verkäufer nutzen, hält sich die Begeisterung aber vermutlich in Grenzen. Denn für sie steigt der ohnehin schon hohe Druck, einen schnellen und reibungslosen Versand zu bieten, weiter an. Noch macht sich dieser zusätzliche Druck durch Amazon Logistics möglicherweise nicht bemerkbar, das könnte sich in Zukunft aber ändern. Deswegen sollten sich Marketplace-Verkäufer schon jetzt darauf einstellen und an ihre internen Prozessen feilen, um diese zu optimieren.
Fazit: Hopp und top!
Auf der einen Seite spüren viele Händler schon heute, dass Kunden immer schnelleren Versand fordern. Zudem mischt Amazon Logistic, aufgrund von Lieferzeit und unkompliziertem Service, auch die Versandbranche auf und stellt etablierte Unternehmen vor die Frage, inwieweit sie alle aktuellen Standorte aufrechterhalten können.
Auf der anderen Seite freuen sich FBA-Händler und Kunden, dass Pakete schnell zugestellt werden und sich die Customer Journey dem stationären Handel immer weiter annähert. Nicht nur erhalten Kunden eine Versandbestätigung, sondern auch eine detaillierte Sendungsverfolgung. Das steigert die Conversion Rate, senkt die Retourenrate und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden erneut kaufen.
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